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Darmstädter Echo 27.5.1997
Stefan Benz
Zappen Sie gerne? Können Sie zehn Fernsehprogramm gleichzeitig schauen, ohne die Übersicht zu verlieren? Dann sind Sie bei Angela Dauber genau richtig. Zusammen
mit dem bildenden Künstler Samuel Rachl arrangiert die Performance-Künstlerin Abende „zwischen Vorstellung und Ausstellung“, Experimente im Niemandsland zwischen Tanz, Sprechtheater und Installation. (…) „sie sehen was ich meine sagen sie“ (bildete) Abschluß und Höhepunkt des kleinen Tanz-Theaterfestivals „Grenzgänger“ am Wochenende auf der Werkstatbühne des (Darmstädter) Staatstheaters.
Samuel Rachl hat 28 Stühle mit Drehspiegeln im Rechteck angeordnet. Hier sitzen die Zuschauer nun wie
beim Friseur, mit dem Rücken zu dem, was man in einem herkömmlichen Theater für die Spielfläche halten könnte. Während ein Irrwisch (Egmont Körner) um eine Frau im Kokon (Sonja Breuer) herumtanzt, greifen Angela Dauber und
Jan Schulz zum Mikrophon.
Wie Animateure in der Fußgängerzone werben sie für ihre Ideen. Als würde man in einer Vorlesungsreihe zum Thema „Kommunikation und Körper“ mehrere Referate durcheinander halten, hört sich diese Suada für zwei Stimmen an. Dauber extemporiert über Denken und Sprache, Körper- und Beweg8ungstypen und über die Möglichkeit von München nach Hamburg per Auto, Bahn oder zu Fuß zu gelangen. Die Exkurse von Jan Schulz führen abwechselnd ins Private und in die Literatur, von der Sprache des Sturm und
Drang zur monologischen Konversation mit Dackel „Böckchen“, von Rolf Boysen als „Lear“ an den Münchner Kammerspielen zu Onkel Rolf mit Alzheimer im Pflegeheim an der Nordsee.
Zwischen Volkshochschulkurs und absurdem Theater schlagen Dauber und Schulz
inhaltliche Haken, wobei ihre Reden in Ellipsen um das Zentrum „Wahrnehmung“ rotieren.
Währen die Spreche also vor allem Theorie beisteuern, sorgt Egmont Körner für die darstellerische Praxis. Er bellt am Boden, geht über die Leiter an die Deckem spielt die Zeihharmonika, greift als Samurai zum
Schwert. Und in dieses muntere Chaos mischt sich als Running Gag aus dem Off die Ansage des Inspizienten „Sackkarre besetzen! Und ab!“
Ja, der Abend hat viel Witz, und noch mehr Hintersinn, man muß beides nur heraushören können. Und das ist haarte Arbeit, Dauerstreß für die Sinne. Eine Stunde bei Dauber und Co. ist anstrengender als fünf Stunden bei Hamlet und Ophelia. Wem soll man zuhören, wo hinschauen, ein Detail fixieren oder die Polyphonie als Toncollage
hinnehmen? Konzentration oder Kapitulation? Nach 30 Minuten wird bei manchem
Besucher der Blick leer, der Kopf senkt sich. Diagnose: Stumpfsinn durch Reizüberflutung. Andere turnen neugierig hinter ihrer Stuhllehne herum oder lassen
die Augen im Spiegelkabinett wandern. Es gibt viel zu erleben, aber kein
gemeinsames Theatererlebnis im klassischen Sinne. Die Begleiterin erzählt nach der Vorstellung beim Bier eine ganz andre Geschichte über dem Abend – auch das ist reizvoll an diesem Experiment.
Wer hie reinen roten Faden sucht, wird bald erschöpft aufgeben müssen. Wer sich jedoch selbst einen Weg durch das audiovisuelle Chaos bahnt, den
mag diese Vorstellugn anregen und bereichern. Mit Angela Dauber kann der
Zuschauer als Performance-Pfadfinder für den Multimedia-Dschungel trainieren. Da wird der Theaterbesuch zur
lebenspraktischen Übung für den Alltag mit Filofax und Fernbedienung.
Donaukurier 20./21.4.2000
Karin Derstoff
Ein verspielter Anfang: Noch ehe die Installations-Performance (…) tatsächlich beginnt, ist viel in Fluß und Selbsterfahrung schon gemacht. Auf einem der 28 Konstrukte zu sitzen, die
Rachl zweireihig durch das Atelier zog, ist ein seltsames Erlebnis, der
Speiegel wegen. An jedem Stahlstuhl vorne einer befestigt, Lenkrad des
Geschehens, der das Auge mal hierhin, mal dorthin führt. Zum Regisseur wird der Gast. Ein Dreh am Handgriff und wieder ein anderer
Raumausschnitt, andere Sitzende im Blick, die selbst neugierig in den fremden
Spiegel schauen – Kontaktbörse, Kinderspiel, Figurenkabinett, nie wieder aufstehen, höchstens für einen anderen Spiegelsitz.
Doch das kreative optische Geplänkel findet bald ein Ende, das „Maria“ heißt. Ein eleganter Herr – später wird man ihn anhand eines Handzettels als Jan SAchulz, Autor und Performer,
identifizieren – ist zu eienm bislang unbemerkten Mikrofon getreten und schallt nun die
Geschichte der Depressiven ins Atelier. Respektive: will schallen. Denn seine
Stimme wird halb übertönt von der Angela Daubers, die ebenfalls mikrofonbewehrt, am anderen Raumende
aufgetaucht, etwas über Amseln zu berichten weiß. Nur kurz plappert es über- und nebeneinander, da geht ein Schrei wie ein Schwerthieb durchs Atelier.
Ein Mann (Handzettel? Es ist Tänzer Egmont Körner) schlägt, schraubt, windet sich durch Raum und Menge in exzessiver Körperhaftigkeit. Und Ulrich Winko, Doktor der Philosophie, fällt ein mit einer Megafon-Abhandlung über die Geschichte des Gedächtnisses und Michael Lentz, promovierter Germanist und Autor, der Sentenzen aus
dem Verstärker schreit oder Anekdoten über Toni Polster …
Polyphonie füllt nun den Raum, in dem die Gäste sich nach wie vor bewegen und seltsam frei werden in dieser Überflutung von Wort, Bild und Bewegung. Man driftet von Spiegel zu Spiegel, von
Sprecher zu Sprecher, bleibt, umtanzt von Körner, vielleicht hängen an einem Wort, einem Text, einem Blick; man ist anonym, sichtbar, Zeuge und
Akteur zugleich.
Lange Katalogtexte gibt es über die gescheite Konzeption des Kunstevents, das sich so vielschichtig der
Erforschung von Sprache und Literatur widmet, doch kaum ein Wort für das sinnliche Erleben, das in der Dreiviertelstunde steckt. Als sie
vielstimmig ausklingt, steht fest: eine adäquate Premiere für das Atelierhaus Muthofer/Scheithauer, ein grandioser Abschluß der Literaturtage in Ingolstadt.
Kritiken
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Fotos Alma Larsen Dieter Trüstedt
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